Statistische Diskriminierung oder Alltagsrassismus?

Die notwendige Diskussion über Alltagsrassismus leidet, wenn man diese mit boshafter Ignoranz oder politischer Agenda führt. Rassismus ist nicht akzeptabel! Nicht alles, was nach Rassismus aussieht, ist aber auch rassistisch motiviert. Wer das ignoriert, schadet der Glaubwürdigkeit der eigenen Argumentation und damit der eigentlichen Sache. Es wäre gut, wenn Journalisten sich mit den Fakten vertraut machen würden. Alles andere ist invertierter „Trumpismus“. 


Theorie: Kann Diskriminierung rational und effizient sein?

Systemische, rassistische Ungerechtigkeit muss verschwinden. Wo aber hört rationale statistische Diskriminierung auf, wo fängt Rassismus an? Die beiden Nobelpreisträger Ken Arrow (1973) und Edmund Phelps (1972) haben die Antwort auf diese zeitlose Frage schon lange formuliert. Vorurteilslose (!) und rationale Entscheidungsträger werden unter Risikoaversion und unvollkommener Information nach beobachtbaren Eigenschaften (Hautfarbe, Alter, Geschlecht, …) diskriminieren. Das ist für den Entscheidungsträger rational, solange die beobachtbare Eigenschaft mit einer nicht direkt beobachtbaren Information korreliert ist. Beispiel: Das Aussortieren aller Bewerbungen mit Migrationshintergrund für eine Aufgabe, die hervorragende deutsche Sprachkenntnisse in Wort und Schrift erfordert. Das gilt vor allem dann, wenn bedingende Zusatzinformation (eine Einladung zu einem verifizierenden Gespräch bzw. eine Aufsatzkorrektur) nur teuer zu beschaffen ist. Anders ausgedrückt: es wird zwar nach Migrationshintergrund gefiltert, aber die gefundene Information ist Deutschkenntnis. 

Dagegen ist die Richtung statistischer Diskriminierung auf keine Hautfarbe oder Geschlecht festgelegt und hängt nur von der Richtung und Stärke der Korrelation mit der nicht beobachtbaren Eigenschaft (latente Variable) ab. Statistisch diskriminiert, können auch Weiße oder Männer werden. 

Statistische Diskriminierung findet auch außerhalb der Rassismusdebatte statt. So werden Lebensläufe von Eliteuniversitäten regelmäßig bevorzugt. Der Arbeitgeber zieht dann aus einem Topf mit hoher Begabung bei geringer Varianz der Begabung. Schließlich wurden die Studenten schon nach Intelligenz und “employability” vorselektiert. Hinzu kommt das Netzwerk, das diese Absolventen mitbringen. Alles versteckt in der Variable: Hochschulzugehörigkeit. Könnte man diese Charakteristika kostenlos direkt beobachten würde der Wert des Signals Hochschule sinken. Auch hier wird man vielen Bewerbern nicht gerecht. Dennoch ist das Vorgehen sinnvoll. Auch wenn es dem Leser nicht behagt. Statistische Diskriminierung wendet jeder von uns in den unterschiedlichsten Lebensbereichen (im Alltag…)  an.

 

Statistik ist die intelligente Form des Vorurteils

Das Ziel statistischer Modelle ist es, den unbedingten Mittelwert durch Zusatzinformation in einen bedingten Mittelwert zu überführen. Nehmen wir als Beispiel ein einfaches Regressionsmodell (y=a+bx+e). Der bedingte Mittelwert ist nun a+bx. Alle im Störterm (e) verborgene Information (unbekannt, oder zu teuer zu beschaffen) repräsentiert die Individualität des Beobachtungsobjekts. Diese zu ignorieren mag man bedauern, aber es ist für den Entscheidungsträger optimal.

Anwendung im maschinellen Lernen

Auch im algorithmischen Lernen ist dieses Problem bekannt. Eine Zielfunktion, die beispielsweise Fehlklassifikationen bei der Kreditvergabe (zahlt, zahlt nicht zurück) minimiert, wird zu einer besseren Klassifikation kommen, wenn Hautfarbe als Erklärungsfaktor zugelassen wird (unabhängig von der Hautfarbe des Programmierers). Ist der Computer rassistisch? Wollen wir den Computer zwingen, im obigen Modell x als Variable nicht zuzulassen? Es muss jedem erlaubt sein alle verfügbaren und relevanten Informationen zu nutzen. Wir kennen dann nur noch a. Alles was wir erreichen, ist Informationsverlust und schlechtere Ressourcenallokation. Ohne statistische Diskriminierung brechen Märkte zusammen, da sie nicht mehr zwischen guten und schlechten Risiken unterscheiden (diskriminieren) können. Gerechter werden sie dadurch erst recht nicht. Ein gutes Beispiel sind Versicherungsmärkte.

Ist der Kapitalismus diskriminierend?

Rassismus und Diskriminierung, basierend auf persönlicher Abneigung und fundamentlosen Vorurteilen, sind nicht akzeptabel. Rationales Entscheiden schon. Für letzteres steht der Kapitalismus. Gewinnorientierung schlägt Vorurteile. Immer! Das Problem ist oftmals der Gesetzgeber selbst. Wenn ein schlecht beurteilter Witz für einen Vorstand zum Karriererisiko werden kann, dann ist es optimal, den Vorstand aus einer homogenen Gruppe zu rekrutieren. Entspanntheit und Toleranz helfen. Verbissenheit nicht.

 

One thought on “Statistische Diskriminierung oder Alltagsrassismus?

  1. In Zeiten, in denen zumeist Gesinnungsethiker und Moralapostel den politischen Ton bestimmen, sind solche rationalen Betrachtungen lindernder Balsam für die Seele. Ich hoffe, wir werden in unserer Republik wieder zur Vernunft zurückfinden, ohne dass sie zuvor wesentlichen Schaden nimmt.

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