Corona und die Märkte: Welche Lehren gibt es für Privatanleger

Kapitalmarktverwerfungen decken Fehler in der strategischen Asset Allokation (langfristige Aufteilung des Portfolios in Anlagen unterschiedlichen Risikos) oder in der eigenen Investment Governance (wie reagiere ich auf Portfolioverluste) auf. Eine gute Zeit für Anlegern ihr Portfolio als auch ihr Anlageverhalten zu überdenken. [Mein Beitrag in der Börsenzeitung vom 9/5/2020]

Beginnen wir mit den häufigsten Verhaltensfehlern. An erster Stelle steht hier der „home bias“, d.h. die Tendenz von Anlegern zu viel Geld in ihren Heimatmarkt zu investieren. Europäische Anleger halten beispielsweise mehr Anlagen in Europa als es der Marktkapitalisierung Europas in der Welt entspricht. An zweiter Stelle steht die Tendenz von Entscheidern die Wahrscheinlichkeit von extremen Ereignissen zu überschätzen („prospect theory“ ) sowie das Gesetz der kleinen Zahl (Übergewichten der jüngsten Vergangenheit, also einer kleinen Stichprobe). Beide Verhaltensfehler gehen auf Kahneman/Twersky zurück und führen zu einer Fokussierung auf das pessimistischte Szenario und zu einer Extrapolation der jüngsten Vergangenheit. Viele Anleger haben unter dem Eindruck der unmittelbaren Kapitalmarkterfahrung und aus Angst vor einer noch größeren Krise ihr Portfolio im Aktienmarkttief liquidiert. Als dritter Fehler ist der „endowment bias“ zu erwähnen. Anleger bewerten ihr Portfolio höher als es dem Marktwert entspricht. Beispielsweise werden Anlagen in neues Geld gedanklich anders behandelt als existierende Portfolios. Wer heute ein Portfolio aus 50% Aktien und 50% Renten hält, der muss neue Veranlagungsmittel von beispielsweise 100 Tausend Euro in gleicher Aufteilung investieren. Wer nicht dazu bereit ist handelt entweder nicht rational oder ist mit dem Ausgangsportfolio nicht zufrieden. In meiner Beobachtung haben Anleger während des Abverkaufs an den Märkten neue Anlagemittel nicht investiert, aber gleichzeitig ihr existierendes Portfolio beibehalten. Der letzte Fehler betrifft die sogenannte „overconfidence“. Wer erfolgreich dem Aktienrisiko durch geschicktes Verkaufen entgehen will, der muss sich sehr sicher sein, dass er mehr Information als der Markt besitzt und dass er auch den Mut hat rechtzeitig in den Aktienmarkt zurückzukehren. Erfolgreiches Timing benötigt bessere Information und zwei mutige Entscheidungen. Viele der Anleger, die ihr Portfolio Mitte März verkauft hatten sind nicht mehr in den Markt zurückgekehrt.

Bedeutet, dass nun das Anleger in Pandemien ihr Portfolio immer beibehalten sollten? Was sagen die Standardmodelle der Portfoliotheorie? Leider sehr wenig. Der Standardwitz unter Wissenschaftlern lautet: Anleger in ein Markowitz Portfolio haben weder Einkommen noch Vermögen und sie sterben nie. Das Sterblichkeitsrisiko spielt in den Lehrbuchmodellen der Portfoliotheorie keine Rolle. Solange der Tod zufällig kommt (nicht mit Finanzanlagen oder dem Wert des eigenen Unternehmens korreliert) ist das weitestgehend unproblematisch. Gerade in Pandemien ist dies nicht so und in der Realität besitzen Anleger Vermögen. Verkürzt teilt sich das Vermögen eines Anlegers in Finanzvermögen und Schattenvermögen (exogen gegebene nicht kurzfristig handelbare Anlagen wie Beispiel das eigene Familienunternehmen oder das eigene Humankapital). Aus Sicht des Gesamtvermögens kann es in einer Pandemie Sinn machen die Aktienallokation im Finanzportfolio zu reduzieren. Hierfür gibt es eine Reihe von Gründen. Erstens, das Schattenvermögen sinkt, weil der Barwert zukünftiger Ersparnisse sinkt (geringere Ersparnisse bei gestiegener Sterbewahrscheinlichkeit). Zweitens, weil das Risiko des Schattenvermögens (mittelständisches Unternehmen mit wenigen Hausbanken in betroffenen Industrien), gestiegen ist. Drittens, weil das Todesfallrisiko mit den Finanzanlagen korreliert ist. Verstirbt der Alleinverdiener in einem Mehrpersonenhaushalt während einer Pandemie, so muss sichergestellt sein, dass die Familie auch ohne sein Einkommen von den Ersparnissen leben kann und diese nicht durch Kursverfall reduziert werden. Die Familie, kann nicht gleichzeitig den Alleinverdiener und das Vermögen verlieren. Wohlstand macht Haushalte „resilient“. Rationale Anleger werden sich solche Gedanken machen müssen.

Als Privatkunde würde ich mir spätestens im Nachgang zur Corona Krise eine Reihe von Fragen stellen. Das idiosynkratische (nicht diversifizier- oder versicherbare) Risiko des eigenen Unternehmens ist erheblich. Wie viel Prozent meines Vermögens möchte ich wirklich in meinem Unternehmen halten? Will ich in den Asset Managementprozess eingriffen und in der Krise die Allokation verändern? Habe ich hierfür den Informationsstand und die Erfahrung? Habe ich den Mut auch wieder einzusteigen. Habe ich mir genug Gedanken um die strategische Allokation meines Vermögens oder um die rechtlichen Risiken (Vermögenssteuer, Enteignung) gemacht? Muss ich meine Risikotoleranz neu bestimmen? Die Beantwortung dieser Fragen ist oft schmerzlich aber alternativlos.